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Montag, 08.06.09:
Große Güte, was meine Nachbarskinder wieder anschleppen! Diesmal waren sie mit ihren Schleudern auf Fledermausjagd. Zugegeben, sie werden zu einer Plage unerträglichen Ausmaßes. Nicht die Kinder, sondern die Fledermäuse. Sie haben sich seit Jahrzehnten in den Bäumen auf dem Gelände eines deutschen Entwicklungshilfeprojektes eingenistet und fröhlich vermehrt. Hier wird zwar alles gejagt was sich bewegt und u.U. essbar

ist, aber der deutsche Tierschutzgeist hatte die Jagd in der Vergangenheit verhindert.Nun sind die Deutschen weg und die Jagd ist freigegeben. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir Feinde zuziehe - ich bin sofort dafür, dass die Fledermauspopulation drastisch reduziert wird.Sie sind hier ganz sicher nicht vom Aussterben bedroht und wenn sie gegen Abend ihren Standort wechseln und zu Abertausenden über die Stadt fliegen, kommt man sich vor wie in Hitchcock’s „Die Vögel“. Der Kot, Urin und Geruch kann jedenfalls nicht gesund sein. Bedauerlicherweise haben mir die Kids am nächsten Tag berichtet, dass aus dem geplanten Festessen nichts wurde, weil das Fleisch gestunken hat. Vielleicht hat sich deshalb der Jagdeifer der Bevölkerung bisher in Grenzen gehalten. Schade eigentlich, es wäre so eine praktische Lösung gewesen.
Mittwoch, 03.06.09:
Ich sitze an meinem Wohnzimmertisch am Computer und linse mit einem Auge ab und zu aus dem Fenster. Unter dem Zitronenbaum neben Mares Haus versammeln sich immer mehr Menschen und zwei Jungs fangen an, eine Stelle auf der Erde freizumachen. Dann bringt jemand Stroh, um ein Feuer anzuzünden. Ich denke erst, dass sie wohl wieder ein Schwein schlachten wollen, und achte nicht weiter darauf. Nach einer Weile ruft mich dann meine Vermieterin nach draußen und fragt mich, ob ich gehört hätte, dass Sinematou, Mares Sohn, einer älteren Dame 50000 F (gut 75 Euro) gestohlen haben soll. Hab ich mitgekriegt, sie hat das Geld bei der großen Zeremonie vor einigen Wochen verloren. Und da damals hunderte von Leuten da waren, kann es so ziemlich jeder gewesen sein. Sinematou sagt jedenfalls, er war es nicht. Mare ist dann von einem Wahrsager zum nächsten gegangen, und die haben alle bestätigt, dass es sein Sohn war. Doch Sinematou streitet immer noch ab und so soll nun zum äußersten Mittel gegriffen werden, um die Wahrheit herauszufinden: er muss seine Hand in heißes Öl tauchen. Kennen wir das nicht irgendwie aus dem Mittelalter? Aber Mittelalter oder Gegenwart - der Teufel ist immer noch derselbe und seine Methoden haben nichts an Grausamkeit eingebüßt. Sinematou muss nun seine Hand erst in eine speziell zubereitete Flüssigkeit tauchen und dann in siedendes Öl. Ist er unschuldig, dann wird ihn die magische Flüssigkeit vor Verbrennungen schützen. Ist er schuldig, dann wird die Flüssigkeit das siedende Öl aus dem Topf spritzen lassen und es wird ihn von oben bis unten verbrennen. Allerdings wird es ihn nicht töten, schließlich soll er ja für sein Verbrechen büßen. Man hat mir schon von dieser Praxis berichtet, aber dass es nun plötzlich vor meinen Augen stattfinden soll, ist eine eher düstere Aussicht. Ich gehe wieder ins Haus und schaue aus dem Fenster. Jetzt sehe ich den kleinen Topf auf dem Feuer und daneben eine Schüssel mit der Flüssigkeit. Verhindern kann ich es nicht, also flehe ich zu Gott um einen ordentlichen Regenguss oder irgendwas in der Richtung. Immer mehr Leute versammeln sich, das darf man sich nicht entgehen lassen! Nach einer Weile ist immer noch kein Regenguss in Sicht, dafür ruft meine Vermieterin: "Tanti, sie sind soweit! Komm, wir gehen zuschauen! Willst Du nicht zuschauen? Hast Du Angst?" Nicht direkt. Aber ganz sicher hab ich keine Freude an einem teuflischen Spektakel. Soweit geht mein kultureller Wissensdurst

dann doch nicht.Ich ziehe meine Vorhänge zu (wegen der Menschenmenge sehe ich ohnehin nichts mehr) und setze mich wieder hin um zu beten. Nach einer Weile höre ich das Zischen von Wasser in heißem Feuer. Ach, wenn es doch nur eine Portion Pommes wäre! Ich halte kurz den Atem an und warte auf den markerschütternden Schrei, doch er kommt nicht. Stattdessen fangen nach einigen Sekunden alle gleichzeitig an zu schreien und lauthals zu diskutieren. Später berichtet mir Sinematous Bruder, dass die Hand völlig unversehrt aus dem Topf kam und gleich anschließend einige heftige Diskussion losbrach, wer denn dann der Dieb war, wenn nicht Sinematou. Ich war einfach nur dankbar, dass der Junge nicht vor meinem Fenster in Flammen aufgegangen ist. Nach so vielen Jahren in Benin erschreckt es mich immer noch, welche Macht Satan hat und wie grausam er ist!
 
Donnerstag, 28.05.09:
Seit mittlerweile zwei Monaten sind die staatlichen Krankenhäuser im Streik. Zu Beginn war wenigstens eine Notversorgung im Gange, doch inzwischen sind manche Abteilungen ganz geschlossen. Ich wollte nur in der Apotheke Tabletten kaufen für meine Nachbarin, die eine eitrige Entzündung im Finger hat, und fand sogar Kasse und Apotheke geschlossen vor. Bereits das Eingangstor zum Krankenhaus war fest verriegelt. Für mich selbst ist das kein großes Problem, ich kann mir, wenn es drauf ankommt, auch die teurere Privatklinik leisten. Doch viele Leute können es nicht. Hochschwangere, die zur Entbindung kommen werden genauso abgewiesen wie Unfallopfer. Wer kein Geld für die Klinik hat oder für einen Transport nach Tanguieta (50 km nördlich), wo es ein großes katholisches Krankenhaus gibt, hat Pech gehabt. Und so gab es schon Totgeburten und andere Tragödien. Worum es genau geht bei dem Streik, weiß ich nicht. Irgendwelche Sonderzahlungen für das Pflegepersonal. Ist mir eigentlich auch egal, sie mögen ja im Recht sein. Aber nicht immer heiligt der Zweck die Mittel und nicht alles ist moralisch vertretbar. Jedenfalls beten wir für eine rasche Einigung, damit sich die Lage für die Bevölkerung wieder entspannt.