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Montag, 20.09.10:
Es regnet und regnet und regnet. Heute Morgen war unsere Kompostgrube voll mit Wasser und der montags übliche Morgenappell unter der Flagge bei den verschiedenen Dienststellen hat ganz sicher nicht stattgefunden. Generell ist ein ordentlicher Regen für Angestellte immer eine gute Ausrede, um nicht zur Arbeit zu gehen. Das Gehalt kommt ja trotzdem. Anders ist die Situation natürlich für die Leute, die von ihren täglichen Einnahmen leben, die müssen bei jedem Wetter raus. Ich hab mein Büro hier im Haus und muss höchstens vor die Tür, wenn ich auf die Toilette muss. Irgendwelche Termine und Verabredungen fallen an solchen Tagen buchstäblich ins Wasser und ich kann getrost im Trockenen bleiben.
An heißen Tagen sind dunkle Regenwolken willkommene Vorboten, und wenn sie sich dann am späteren Nachmittag entladen nutzen die Jungs das kühle Nass auch schon mal für eine Freiluftdusche.
 

Sehr unerfreulich sind Markttage in solchen Zeiten. Natitingou ist wahrscheinlich die letzte Stadt in Benin, die immer noch keinen befestigten Markt hat, weil die Gelder dafür mehrfach veruntreut wurden. In allen anderen Orten stehen schöne gemauerte Marktstände, in denen Händler und Bauern ihre Waren auslegen. Nur hier bei uns hocken die Leute auf der Erde, jetzt halb im Matsch, und legen die Ware auf Plastikplanen vor sich aus. Vor Regen und Sonne sind sie durch uralte Wellblechdächer geschützt, deren Holzpfosten so alt und moderig sind, dass bei Regenfällen regelmäßig wieder eine Reihe einkracht. Manche Dächer sind so niedrig, dass ich beim Durchgehen immer Angst habe, mir mit den scharfen Kanten das Gesicht aufzuschneiden. Vor einigen Monaten wurde alles noch schlimmer, weil es doch endlich besser werden sollte. Der Markt wurde verkleinert und die Händler, die die äußeren Stände hatten drängten in das ohnehin schon überfüllte Innere, damit am Rand mit der Konstruktion begonnen werden konnte. Seither finde ich nichts mehr, weil irgendwie niemand mehr an seinem angestammten Platz ist. Aber es ist ja nur für eine Zeit und hinterher werden wir einen schönen Markt haben - dachten alle. Die Baufirma hatte rund um den Markt eine Reihe von großen Läden und Speichern gebaut, die aber noch nicht fertig gestellt sind, und dann tat sich erst mal nichts mehr. Es hieß, die Stadtverwaltung hätte ihren vertraglich vereinbarten finanziellen Beitrag nicht geleistet und deshalb hätte die Baufirma die Arbeit erst einmal eingefroren. Und letzte Woche haben sie nun ihr Magazin, in dem sie ihre Geräte usw. lagerten, auch noch abgebaut, das ist gar kein gutes Zeichen! Wir werden also weiterhin für unbestimmte Zeit zwischen Pfützen, Matsch und Tomaten durchbalancieren und hoffen, dass das Wahljahr 2011 ein Wunder vollbringt.
 
Dienstag, 14.09.10:
Weiß noch jemand, was die zweite Plage in Ägypten war?
 
Richtig, Frösche.

Wir sind nicht in Ägypten und die anderen Plagen bleiben uns hoffentlich erspart, aber Frösche haben wir zuhauf. In Paulas Wassernapf, vor der Klotür, in einer Ecke in meinem Büro, unterm Küchenregal, in leeren Blechdosen im Abstellraum, in unseren Schuhen auf der Terrasse usw...
Mir machen Frösche nichts aus und ich kann sie mit der Hand fangen und nach draußen befördern. Toussaint dagegen findet sie fürchterlich und jagt sie mit dem Besenstil.
 

 
Samstag, 11.09.10:
In den vergangenen Tagen sind wir einige Male von Jugendlichen, die uns ziemlich nahe stehen enttäuscht worden. Einer, Toussaints Großneffe, hat uns belogen, ein Junge aus dem Internat hat über einen längeren Zeitraum Yams aus unserer Vorratskammer geklaut und Toussaints Halbbruder hat sich hinter unserem Rücken im Dorf Ziernarben einritzen lassen, mit den damit verbundenen Zeremonien vor dem Fetisch. Alle drei sind Jungs, denen wir vertraut haben und denen wir regelmäßig helfen. Großneffe und Halbbruder schulden Toussaint außerdem als dem älteren Familienangehörigen Respekt. Um uns herum beobachten wir unter den Jugendlichen schon eine ganze Weile einen enormen Werteverfall, doch nachdem uns diese drei so enttäuscht haben fragen wir uns, ob man überhaupt noch einem jungen Menschen vertrauen kann.
Wenn ich so über die möglichen Ursachen dieser Respektlosigkeit und rebellischen Haltung der Jugendlichen nachdenke werde ich den Gedanken nicht los, dass die so genannte Christianisierung nicht unschuldig daran ist. Mit dem Vormarsch der christlichen Kirchen geht logischerweise eine Abkehr von den Traditionen einher (wenn auch oft nur oberflächlich). Menschen, die der Tradition anhängen folgen ziemlich klaren Richtlinien. Man weiß, was erlaubt und verboten ist und hält sich auch daran, denn ein Verstoß kann direkte Folgen haben und ist daher gefährlich. Jeder weiß, dass es Menschen gibt, die die Macht haben, Diebe vom Blitz erschlagen zu lassen. Andere können einen Fluch aussprechen gegen jemanden, der sich nicht korrekt verhalten hat. Aus Angst vor diesen Konsequenzen werden die Regeln respektiert. Natürlich ist Angst nicht gerade die richtige Motivation, aber immerhin gibt es klare Linien, die eingehalten werden. Nun kommen die christlichen Kirchen und erzählen den Leuten, dass sie vor Satan und seinen Dämonen und Mächten keine Angst mehr zu haben brauchen. Der Angstfaktor fällt also weg. Gleichzeitig erzählt man ihnen von der Gnade und Vergebungsbereitschaft Gottes. Es besteht also keine Gefahr, wenn man die Regeln übertritt, man braucht ja anschließend nur um Vergebung zu bitten!
Doch ein Gott der nicht straft, ist nicht wirklich mächtig und braucht somit auch nicht respektiert zu werden. So entsteht eine gefährliche Misskonzeption und in der Folge machen die Jugendlichen (und auch Erwachsenen) zunehmend, was ihnen passt. Es besteht ein Vakuum, weil alte Werte sinnentleert sind, ohne sie durch neue Werte zu ersetzen, und das führt zur Orientierungslosigkeit. Eine unserer Aufgaben muss sein, dieser Entwicklung in unseren Gemeinden entgegenzuwirken.