Sonntag, 08.02.09:
Nach unserer Rückkehr aus Deutschland meldete sich Toussaint hier in Natitingou bei einer Fahrschule zum Autoführerschein an.
In der zu entrichtenden Summe war das Bestechungsgeld für den Prüfer als fester Posten gleich enthalten. Doch leider musste
er sich mit der ersten Fahrstunde einige Wochen gedulden, da das Auto in der Werkstatt war. Auch theoretischer Unterricht
fand in dieser Zeit nicht statt, da der Fahrlehrer mit dem Auto in der Werkstatt war, um zu beaufsichtigen, dass da alles
mit rechten Dingen zuging. Dann war das Auto endlich repariert und der Fahrschulbetrieb wurde wieder aufgenommen. Toussaints
erste Fahrstunden sahen so aus, dass der Fahrlehrer das Auto mit Fahrschülern vollud und mit ihnen an den Stadtrand auf eine
wenig befahrene, schnurgerade Piste fuhr. Dort durften dann alle nacheinander fahren, 100 m im Vorwärtsgang, 100 m im Rückwärtsgang,
immer wieder vor und zurück. Am Abend hatte Toussaint einen steifen Hals vom Zurückschauen. Nach ein paar dieser Fahrstunden
durfte er das Auto schon zurückfahren in die Stadt, da er sich besser anstellte als die anderen. Dann kam die erste Theoriestunde.
Der Unterricht erfolgt mithilfe einer großen Tafel, auf der alle Verkehrsschilder abgebildet sind. Das kann man dann auch wirklich
nur als THEORIE bezeichnen, weil es in ganz Natitingou höchstens fünf verschiedene Verkehrsschilder gibt. Ich kenne nur ein
Stoppschild und ein paar Vorfahrt-achten Schilder, sowie die Geschwindigkeitsbegrenzung am Ortseingang. Dann zeichnet der Fahrlehrer
an eine normale Tafel verschiedene Verkehrssituationen, um so die verschiedenen Verkehrsregeln zu erklären. In der zweiten
Theoriestunde zeichnete er eine einfache Kreuzung ohne Schilderregelung und dazu Autos aus drei verschiedenen Richtungen.
Nachdem er die rechts-vor-links-Regel erklärt hatte, fragte er die vier Schüler, welches Auto denn nun Vorfahrt habe. Er bekam
drei verschiedene Antworten, für jedes Auto gab es Befürworter. Toussaint war mit seiner richtigen Antwort alleine. Doch anstatt
sich die doch recht einfache Regel vom Fahrlehrer anhand der Szene noch einmal erklären zu lassen entbrannte eine heiße Diskussion
darüber, wer denn nun Recht habe. So ungefähr sieht auch die Realität in unseren Straßen aus. Recht hat nicht, wer sich an die
Regeln hält (die kennt kaum jemand, denn für das Motorrad braucht man leider keinen Führerschein), sondern wer lauter und besser
argumentieren kann. Oder die lautere Hupe hat. Toussaint war jedenfalls so genervt, dass er ging, bevor die Unterrichtsstunde zu
Ende war. Jetzt hat er sich das Buch zum Heimstudium gekauft. Und bis er dann soweit ist, dass er zur Prüfung zugelassen wird,
haben wir vielleicht auch herausgefunden, wieso er dafür 8 Passbilder braucht.
Donnerstag, 05.02.09:
Letzte Woche erschütterte eine grausame Nachricht die ganze Stadt. Alice, ein junges, geistig behindertes Mädchen von ungefähr
18 Jahren sei bei Boukombé ermordet und enthauptet worden, doch man habe den Täter erwischt. Es gibt einige geheime, satanische
Zeremonien, bei denen menschliche Körperteile benötigt werden. Derjenige, der diese Zeremonien durchführen will, beauftragt in
der Regel eine andere Person mit dem Mord und bezahlt dafür eine ordentliche Stange Geld. Und so kommt es ab und zu vor, dass
irgendwo ein enthaupteter Leichnam gefunden wird. Jeder in der Stadt kennt Alice. Schon als Kind streifte sie durch die Straßen
ihres Viertels und sprach dabei mit sich selbst. Ihr Kopf ist deformiert, und wenn andere Kinder sie hänselten, wurde sie wütend
und schlug kreischend um sich. Je älter sie wurde, umso größer wurde ihr Radius, und so gehörte Alice zum Stadtbild. Als nun
kürzlich alle jungen Mädchen, die ursprünglich aus der Region um Boukombé stammen, in ihre Heimatdörfer gingen zu den
Initiationszeremonien, schickte Alices Vater auch sie. Bereits da begannen die Nachbarn zu reden und den Vater zu verurteilen,
da er dieses schwer zu bändigende Mädchen zu Zeremonien schickte, bei denen strengste Disziplin gefordert ist. Wenige Tage
später hörte man prompt, dass Alice sich von der Mädchengruppe abgesetzt habe und verschwunden sei. Und kurz darauf dann die
erschütternde Neuigkeit, dass sie auf bestialische Weise ermordet worden sei. Nach und nach sickerten Einzelheiten durch und
irgendwann hieß es, sie sei jetzt im Leichenschauhaus hier in Natitingou. Doch vorgestern waren Suzy, Manny und Eric in Boukombé
und stellten erstaunt fest, dass dort niemand etwas von diesem Mord wusste, obwohl er doch dort passiert sein sollte.
Und gestern Abend teilte mir eine Freundin mit, dass Alice quicklebendig gerade bei ihnen in der Kneipe war.
Wir stehen sprachlos vor der Frage, wer sich so was ausdenkt. Wer hat Freude daran, in grausamen Einzelheiten das Gerücht über
einen Mord in die Welt zu setzen, der nie begangen wurde? Entsetzt über diese Perversität packen wir uns aber auch an der eigenen
Nase und gestehen uns ein, dass auch wir unseren Teil dazu beigetragen haben, dass sich das Gerücht schnell verbreitet hat,
denn auch wir haben es weitererzählt.
"Und nun, liebe Freunde, lasst mich zum Schluss noch etwas sagen: Konzentriert euch auf das, was wahr und anständig und gerecht
ist. Denkt über das nach, was rein und liebenswert und bewundernswürdig ist, über Dinge, die Auszeichnung und Lob verdienen"
(Rat des Apostels Paulus an die Gemeinde in
Philippi; Philipper 4,8 Neues Leben Bibel)
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